Der zerbrochne Krug

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Log anders nicht als Schweigend

Neuburg

Kann ein Lustspiel aus dem 18. Jahrhundert noch aktuell sein und Themen wie
MeToo glaubhaft aufgreifen? Dass dies möglich ist hat die Theater Kompagnie Stuttgart mit
Ihrer Inszenierung des Stückes. Der zerbrochene Krug“ am Dienstagabend Im Neuburger
Stadttheater bewiesen.
Eine fiese Intrige entwickelt sich
Als sich der Vorhang hebt, bietet sich dem Publikum der Blick auf eine Baustelle.
Umzugskisten stehen herum, Stühle sind mit Malervlies abgedeckt, auf einer Stehleiter hat
die Kaffeemaschine ihren Platz gefunden. Das Bühnenbild könnte es kaum besser
veranschaulichen: Das Gerichtsgebäude ist ein Sanierungsfall und gleiches gilt für den dort
herrschenden Dorfrichter Adam (Semjon E. Dolmetsch), der nicht nur Recht beugt, wie es
ihm gefällt, sondern selbst Straftäter Ist. Was sich erst Im Zuge der Gerichtsverhandlung um
den zerbrochenen Krug aufklärt, ist dies: Adam setzte das Mädchen Eve unter Druck, indem
er behauptete, ihr Verlobter Ruprecht (Manuel Nero) werde nach Ostindien eingezogen und
von dort käme nur einer von drei lebendig zurück. Was Adam bezweckt, Ist die Befriedigung

seiner männlichen Triebe – was sich Im Detail In Eves Kammer abspielt, wird nicht offenbart. Jedenfalls sagt Ruprecht, er habe Eve (Sophie von Grudzinski) leichenblass und schlotternd vorgefunden, in die er vor Eifersucht rasend eingebrochen ist und dann den Vergewaltiger, den er für einen Nebenbuhler hält, mit Hilfe einer Türklinke aus dem Fenster prügelt. Nur, dass es eben der Dorfrichter ist, erkennt Ruprecht im Dunkeln nicht und Eve schweigt, um ihren Verlobten zu schützen. Erst als Adam – mit Kopfwunden – die Gerichtsverhandlung despotisch beendet, indem er Ruprecht verurteilt, bricht Eve ihr Schweigen: „Der Richter hat den Krug zerbrochen.“

Moderne Inszenierung eines klassischen Lustspiels

Wer bisher den „zerbrochenen Krug“ als Lustspiel kannte, der wird spätestens jetzt in der Inszenierung der Theater Kompagnie Stuttgart überrascht sein. Dabei ist es konsequent und logisch, was Christian Schlösser (Regie) und Carl Häser (Dramaturgie) hier als alternatives Ende einfügen. Immerhin wurde in der Fachwelt schon diskutiert, ob „Der zerbrochene Krug“ nicht doch eher Tragikomödie oder gar Tragödie ist. Auf Eves mutige Aussage, dass der Richter den Krug auf dem Gewissen hat und ihn damit auch gleichzeitig anklagt, ihr etwas angetan zu haben, bekommt sie keinen Zuspruch oder gar Trost, alle wenden sich von ihr ab. Eindrücklich die Szene, in der das Ensemble als Chor auftritt und mehrfach ins Publikum skandiert: „Dann log sie. Log anders nicht als schweigend, doch sie log“. Allein bleibt Eve hilflos und zerstört zurück. Doch dann springt die Inszenierung wieder zurück an den Punkt, als Eve den Richter als Täter identifiziert und das Stück wird zu Ende gespielt, wie Kleist es vorgesehen hatte. Eve und Ruprecht können ein Paar sein und der kriminelle Richter Adam ist vertrieben. Nur die Frau Marthe Rull ist noch immer nicht zufrieden und will den Fall ihres zerbrochenen Kruges in der nächsthöheren Instanz vorbringen. Ging es Kleist zu seiner Zelt sicher um die Themen Rechtsbeugung und Klassenjustiz, wurden dem Neuburger Publikum moderne Interpretationsansätze geboten. Die Rolle des Gerichtsrats Walter wird mit Lorena Jurić-Blažević weiblich besetzt. So ist der vor Männlichkeit strotzende Adam überrascht, hatte er doch ebnen männlichen Gerichtsrat erwartet. Dass nun eine Frau vor ihm steht, stresst ihn, denn zum einen muss er während der gesamten Gerichtsverhandlung seine eigene Tat vertuschen, seinen desolaten Zustand überspielen und dann muss er sich also auch noch gegenüber einer Frau rechtfertigen. Jede Rolle hervorragend besetzt
Das Stück ist großartig gespielt: Sei es die kühle Gerichtsrätin, der irre-lachende Dorfrichter, die auf ihren Krug fixierte Marthe (Dagmar Claus) oder die traumatisierte Eve (Sophie von Grudzinski), die bei dem Betrachter so viel Mitleid hervorruft, dass man Ihrer Mutter zurufen möchte, sie möge ihr Kind doch endlich einmal In den Arm nehmen. Spannend, wie aktuell ein immerhin mehr als 200 Jahre altes Stück noch heute dank einer vollständig gelungenen Inszenierung sein kann.
Heidrun Budke

Flott inszenierter Klassiker

Steinhagen

Klassiker gegen den Strich zu bürsten – das ist die Spezialität der Theater Kompagnie Stuttgart. Damit gelingt es ihr, neue Sichtweisen und Blickwinkel vor allem für junge Zuschauer zu eröffnen, um deren Akzeptanz für das Theater zu erhöhen. Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochene Krug“, uraufgeführt im Jahre 1808, verfängt unter der Regie von Christian Schlösser mit einem ungewöhnlichen Setting und einer flotten Inszenierung. In der bis auf wenige Plätze gefüllten Aula des Schulzentrums zündete das Ensemble auf Einladung des Kulturwerks am Donnerstagabend ein Feuerwerk guter Laune, entwickelte den Einakter mit packender Energie und dem Gespür für treffliche Momente.
Die Gerichtsstube des Dorfrichters Adam wird saniert, Baulärm unterbricht immer wieder das Spiel, Handwerker stolpern durch die Szenerie. Und in diesem Treiben muss der vollkommen indisponierte Adam den Gerichtsrat Walter (besetzt durch eine Frau, Lorena Jurić-Blažević) empfangen, der Kassen und Akten prüfen will. Indisponiert, weil er in der zurückliegenden Nacht bei einem Tête-à-Tête mit Evchen (Sophie v. Grudzinski als Rockerbraut, alles andere unschuldig wirkend) erwischt und auf der Flucht einen Krug zerbrochen hat, muss er nun über seine eigene 

Straftat in einer Gerichtsverhandlung zu Gericht sitzen. Dabei versucht er immer wieder, seinen lädierten Kopf aus der Schlinge zu ziehen, beschuldigt gar den Ruprecht (Manuel Nero), der ihm in der Nacht zwei blutige Wunden am Kopf beibrachte. Am Ende aber überführt ihn Eve‘s Geständnis, und er verliert Amt und Würden.
Schlangengleich und mit blühender Phantasie, aller richterlichen Unbefangen spottend, sucht Adam die Zeugen zu beeinflussen, mit süßen Worten und Drohungen. Ohne seine Perücke, die er bei seinem nächtlichen Abenteuer verlor, windet sich der Dorfrichter durch die Gerichtsverhandlung, die ihm aber am Ende immer mehr aus den Händen gleitet.
Semjon E. Dolmetsch verkörpert diesen korpulenten, wenig staatsmännisch auftreten Beamten mit ungebremster Vitalität, humpelt buffonesk durch die Stube, macht ihn zu einem bemitleidenswerten, beinahe sympathischen Zeitgenossen. Dabei entlarvt er den Dorfrichter als Spielball seiner eigenen Gelüste und Begehrlichkeiten, erst als Opfer, doch nach und nach als ein Täter. Bestechlich und gewissenlos, ohne Reue und triebgesteuert. Er ist die Verkörperung eines korrupten Justizwesen, in dem sich Privates und Öffentliches vermischen. Und er stolpert schließlich über seinen Hochmut, weil er seinem Laster verfällt. So ist die Sanierung der Gerichtsstube ein Spiegelbild für Adams Amtsausübung, die schließlich marode und brüchig wieder in den Figuren des Gerichtsrates und Adams Schreibers Licht (David Kiefer) unter großen Anstrengungen renoviert werden muss.
Es sind die Menschen wie du und ich, die die Theater Kompagnie Stuttgart auf der Bühne agieren lässt, und ihre Geschichten sind so alltäglich und und überdauern die Jahrhunderte. Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“ hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Und das leidenschaftlichaufspielende Ensemble hat dazu an diesem kurzweiligen Theaterabend seinen begeisternden und viel beklatschten Beitrag geleistet.
Nikolas Müller

Log anders nicht als Schweigend

Weiden

„So nimm, Gerechtigkeit, denn deinen Lauf!“ Dorfrichter Adam ahnte bei diesem Ausspruch wohl auch noch nicht, mit welchen Mitteln und Wegen er der Gerechtigkeit Steine in den Weg legen wird, um zu verhindern, dass die Wahrheit ans Licht gerät: Dass der Übeltäter nämlich er selbst ist. Mit dem Lustspiel-Klassiker „Der zerbrochene Krug“ nach Heinrich von Kleist begeisterte am Mittwochabend das Ensemble der Theaterkompagnie Stuttgart bei der Kulturbühne Weiden in der Max-Reger-Halle. Die äußerst kurzweilige Inszenierung von Christian Schlösser verlegte die über 200 Jahre alte Handlung problemlos in die Gegenwart und ließ auch einen Hauch der MeToo-Debatte einfließen. Was also ist in dem niederländischen Dörfchen Huisum passiert, das für jede Menge Aufregung sorgt?

Es herrscht großes Aufsehen um den zerschlagenen Krug der Frau Marthe Rull (beeindruckend: Dagmar Claus). Doch wer ist der Missetäter? Wer hat ihn zerbrochen? Dorfrichter Adam hatte seiner Angebeteten – vielleicht fast schon Gestalkten – Eve (stark: Sophie von Grudzinski) einen nächtlichen Besuch abgestattet, wurde dabei aber von deren Verlobten Ruprecht erwischt und 

flüchtete unerkannt. Auf der Flucht ging allerdings jener wertvolle Krug zu Bruch, Marthe Rull brachte dies zur Anzeige im Glauben Ruprecht wäre der Täter. Verwicklungen und Konflikte waren damit vorprogrammiert, die von allen Akteuren auf der Bühne – allen voran von Semjon E. Dolmetsch als rüpelhafter und chauvinistischer Dorfrichter sowie Lorena Jurić-Blažević in der Rolle der Kontrollinstanz Gerichtsrat Walter – bravourös und zum Vergnügen der Zuschauer umgesetzt wurden. Einen besonderen Dreh bekam das Stück noch mit zwei unterschiedlichen Schlussszenen – das Publikum konnte für sich entscheiden, welche Variante sympathischer oder realistischer war. Viel Applaus gab es vom Publikum für dieses Werk aus dem Kanon der deutschen Literatur, das auch noch einige Zuschauer mehr vertragen hätte.